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Archivalie des Monats April 2017: Beurkundung von Sterbefällen sowjetischer Kriegsgefangener

Für Historiker und Interessierte, die sich mit der Zeitgeschichte beschäftigen, ist es immer wieder erschreckend, dass sich in zunächst ganz unverdächtig klingenden Aktentiteln wie „Standesamtskosten 1936-1960" Schriftstücke verbergen können, die das Grauen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft im Beamtendeutsch abbilden. So findet sich in dieser Akte auch ein erschütternder Schriftwechsel über die Beurkundung von Sterbefällen sowjetischer Kriegsgefangener im Stalag XI D in Oerbke.

Für die Beurkundung der Sterbefälle im benachbarten Oerbke war das Fallingbosteler Standesamt zuständig. Doch die Beurkundung der Sterbefälle sowjetischer Kriegsgefangener unterblieb ab November 1941. Am 30. November 1941 wies der Fallingbosteler Standesbeamte darauf hin, dass es ihm unmöglich sei, der Arbeitsbelastung Herr zu werden. Bis jetzt seien 1.700 Russen verstorben, täglich würde sich die Zahl um weitere 50 Personen erhöhen. Als sein Schreiben ohne Reaktion blieb, bat er am 28. Januar 1942 – die Epidemie hatte bereits 9.000 Opfer gefordert – um eine Entbindung von der Beurkundung der Sterbefälle. In einer makabren Berechnung legte er dar, dass er für die ordnungsgemäße Durchführung zweieinhalb Jahre benötigen würde. Daraufhin ordnete der Landrat an, die Todesmeldungen aus dem Stalag lediglich zu sammeln und geordnet aufzubewahren. Ob dies geschehen ist, ist nicht bekannt – überliefert sind Sammlungen von Todesmeldungen im Stadtarchiv Bad Fallingbostel jedenfalls nicht.

Schriftwechsel über die Beurkundung von Sterbefällen sowjetischer Kriegsgefangener 1941/42



Nachdem bereits im September 1939 mit dem Stalag XI B Fallingbostel am Rande des Truppenübungsplatzes Bergen ein Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager eingerichtet wurde, in das Kriegsgefangene aus Polen, Frankreich, Belgien, Großbritannien und Jugoslawien eingeliefert wurden, wurde im August 1941 das sogenannte „Russenlager" Stalag 321, das bald darauf die Bezeichnung Stalag XI D Oerbke erhielt, angelegt. Die Gefangenen, die ab dem Herbst 1941 auf dem Fallingbosteler Bahnhof eintrafen, befanden sich in einer erbärmlichen körperlichen Verfassung. Von den langen Märschen und endlosen Transporten, die hinter ihnen lagen, waren sie erschöpft, ausgehungert und abgemagert. „Die Russen kamen schon vollkommen unterernährt hier an", erinnerte sich später ein Wachmann, „ein scheußlicher Anblick." Sie wurden in das „Russenlager" geführt, das zu Beginn nicht anderes war als eine große Fläche, die man mit Stacheldrahtzäunen in viereckige Areale geteilt hatte. Unterkünfte gab es nicht. Um ihre Notdurft zu verrichten, mussten die Gefangenen mit ihren Händen Löcher graben. Mit Reisig oder Planen versuchten sie, sich gegen Wind und Wetter zu schützen.

Französische Kriegsgefangene aus dem Stalag XI B berichteten über das Schicksal der Russen: „Sie wußten, daß die Kälte kommen würde. Sie begannen Gruben und Höhlen in den Sand zu graben, Höhlen wie die Tiere. Sie gruben mit den Händen. Es gab keine Hilfsmittel oder Werkzeuge. [...] Sie gruben ihre Löcher in den Sand wie die Kaninchen. [...] Zu viert, zu fünft oder zu sechst waren sie dann in ihren Gruben, um sich gegenseitig zu wärmen." Erst im Herbst 1941 wurde es ihnen gestattet, sich in der Umgebung Holz für einfache Unterstände zu schlagen.

Die sowjetischen Kriegsgefangenen fristeten ein erbärmliches Dasein. Konnten insbesondere die französischen Kriegsgefangenen im benachbarten Stalag XI B Lebensmittelpäckchen in Empfang nehmen, so litten sie großen Hunger. Karl Dürkefälden, Konstrukteur in einer Celler Maschinenfabrik, hörte im August 1941, „daß die Russen hier in der Heide (Belsen, Fallingbostel usw.) pro zehn Mann ein Brot und etwas Marmelade bekommen." Das speziell für die sowjetischen Gefangenen aus Abfällen, Futterrüben und Sägespänen gebackene Brot von schwarz-violetter Farbe war, wie sich ein französischer Insasse des Stalag XI B erinnerte, „matschig, schmierig und von einem widerlichen Geschmack." Die Franzosen ließen trotz eines strengen Verbotes den Sowjets Lebensmittel aus ihren Paketen zukommen. Der Hunger unter den sowjetischen Gefangenen nahm ein solches Ausmaß an, dass sie den deutschen Wachmannschaften die genaue Zahl der in der Nacht Verstorbenen verheimlichten oder die Leichen ihrer toten Landsmänner gar auf dem Dachboden einer Baracke versteckten, um deren Lebensmittelrationen zu erhalten. Fast wahnsinnig vor Hunger und Durst aßen viele Gefangene Rinde oder Gras und tranken verseuchtes Wasser. Die Ruhr grassierte.

Den sowjetischen Kriegsgefangenen wurde zum Verhängnis, dass die deutschen Bewacher in ihnen „keine Kameraden" sahen, weil die UdSSR die Genfer Konvention nicht unterzeichnet hatte. Den Nationalsozialisten diente dies als Vorwand, sie so zu behandeln, als stünde man in dem von Hitler beschworenen „Vernichtungskampf" . Obwohl keine planmäßige Liquidierung sowjetischer Kriegsgefangener betrieben wurde, nahm die Wehrmacht ihr massenweises Sterben in Kauf.

Eine leichte Besserung ihrer Lage trat erst ein, als sich die deutschen Hoffnungen auf einen Blitzsieg über die Sowjetunion als trügerisch erwiesen und sich ab Herbst 1941 herausstellte, dass auf die Kriegsgefangenen aus der UdSSR als Arbeitskräfte nicht verzichtet werden konnte. Doch der Wandel in der deutschen Einstellung kam für viele von ihnen zu spät. Aufgrund ihrer geschwächten Konstitution starben in Oerbke tausende sowjetischer Kriegsgefangene bei einer Tyhpus- und Fleckfieberepidemie, die Ende 1941 ausbrach. Über den zehntausendfachen Tod der sowjetischen Kriegsgefangenen im Stalag XI D (321) berichtete ein Franzose: „Sie starben wie die Fliegen. [...] Dann wurden sie von ihren Kameraden ausgezogen und in ein Massengrab gelegt. Sie kamen alle in ein Massengrab. Einige unter ihnen waren noch gar nicht tot. Sie lebten noch. [...] Man hat sie lebendig begraben."

Allein bis zum Frühjahr 1942 starben an Hunger, Kälte und Krankheiten wie Typhus und Fleckfieber etwa 12.000 Menschen. Die Zahl der Toten wird insgesamt auf etwa 30.000 geschätzt. Die Bestattung der sowjetischen Kriegsgefangenen erfolgte in Sammelgräbern.