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Archivalie des Monats Februar 2018: Adolf Heinrichs – Vom Landrat in Fallingbostel zum Unterstaatssekretär in Berlin

Dass mit der Quintusstraße an einen bedeutenden Oberamtmann in Fallingbostel erinnert wird, wissen viele Einheimische, dass aber auch die Heinrichsstraße dem Gedenken an einen Landrat gewidmet ist, wissen nur wenige. Adolf Heinrichs stand zwölf Jahre lang von 1885 bis 1897 an der Spitze des Fallingbosteler Landratsamts.

Für einen relativ kleinen Ort, wie ihn Fallingbostel mit lediglich 910 Einwohner im Jahr 1890 noch darstellte, bedeutete es viel, seit der Ausbildung der Vogteiverwaltung am Ende des 13. Jahrhunderts ununterbrochen Verwaltungssitz zu sein. Kein Wunder, dass die Landräte großes Ansehen genossen. Sie gaben den Ton in der „guten Gesellschaft" an und verfügten über erheblichen Einfluss auf die politische Stimmung. Doch handelte es sich bei ihnen keineswegs um selbstherrliche Despoten. Sie wurden zwar geachtet und mit dem gebührenden Respekt behandelt, doch galten sie als umgängliche Persönlichkeiten, die mit der heimischen Bevölkerung schnell „warm" wurden und bei Schützen- und Volksfesten Bürgernähe praktizierten. Das Ansehen, das sie genossen, schlug sich u. a. in der Errichtung eines Denkmals für Heinrich Guichard von Quintus-Icilius (an der Amtsvogtei von 1834 bis 1861 tätig), die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Hermann Rotberg (Landrat von 1908 bis 1930) und die Benennung einer Straße nach Landrat Heinrichs nieder.

Adolf Otto Adalbert Heinrichs wurde am 25. September 1857 in Hannover geboren. Er studierte Jura und begann mit der Ableistung seiner Referendarzeit am Amtsgericht in Hameln. Anschließend setzte er sie beim Landgericht Hannover und als Regierungsreferendar in Hannover und Danzig fort. Zum 1. April 1885 wurde in der 19 Jahre zuvor preußisch gewordenen Provinz Hannover eine neue Kreisordnung eingeführt. Viele „alte" Beamte wollten die neue Gesetzgebung nicht mehr mitmachen und ließen sich pensionieren. Oder sie wurden, wie der Schwiegersohn von Quintus-Icilius, der seit dessen Tod im Jahr 1861 als Kreishauptmann tätige Regierungsrat Hoppenstedt, von den Berliner Ministerien „zur Disposition" gestellt.

Heinrichs schrieb in dieser Umbruchssituation an den Oberpräsidenten von Leipziger in Hannover. Er teilte mit, dass er demnächst sein Regierungsassessor-Examen machen würde und anstrebe, in seiner hannoverschen Heimat Landrat zu werden. Eine Antwort erhielt er nicht. Er wurde zunächst zur Regierung nach Schleswig versetzt, dann aber 1885 mit der Verwaltung des Landratsamtes in Fallingbostel betraut. Einfach dürfte für ihn der Anfang nicht gewesen sein, genoss der in den Ruhestand versetzte Hoppenstedt doch ein hohes Ansehen. Auch dürfte ihm aus den im Kreis vorhandenen welfischen Zirkeln, die auch zwei Jahrzehnte nach der Annexion des einstigen Königreiches Hannover immer noch gegen Preußen eingestellt waren, manche Opposition erwachsen sein.

Wie dem auch immer war, die zwölf Jahre, die Heinrichs in Fallingbostel tätig sein sollte, bezeichneten die Eheleute – am 9. November 1884 hatte er die 1858 in Altkloster bei Buxtehude geborene Martha Henriette Elisabeth Winter geheiratet – später immer als ihre schönsten Jahre. Sie bewohnten ein stattliches Amtshaus mit einem großen zur Böhme gelegenen Park. Pferd und Wagen wurden gestellt. Sein Sohn Kurt, der am 13. Dezember 1894 in Fallingbostel geboren wurde, berichtet: „Bald hatte Vater Kontakt zu den Menschen bekommen, die er in ihrer schlichten natürlichen Art sehr liebte und die ihn verehrten. Viele gute Freunde gab es und viel Besuch. Die Jagd sorgte für Abwechslung. Unter den damaligen Verhältnissen wird sich der Landrat, dessen Behörde vielleicht aus fünf Mann bestand, auch wohl kaum überarbeitet haben."

Sicherlich dürfte es kurz vor der Jahrhundertwende auf den Amtsstuben weniger hektisch zugegangen sein als in den heutigen Behördenbüros, doch führte Heinrichs wahrlich kein gemächliches, sich nur den Freizeitvergnügungen und dem gesellschaftlichen Repräsentieren hingebendes Dasein. Ein Beispiel für das Verantwortungsbewusstsein, das der Allgemeinheit gegenüber empfunden wurde, dürfte auch darin gesehen werden, dass das Ehepaar Heinrichs im Herbst 1892 gemeinsam mit Dr. med. Adolf Fricke und Pastor Knoke die Gründung eines „Vaterländischen Frauenvereins für Fallingbostel und Umgebung" betrieb. Martha Heinrichs wurde zur ersten Vorsitzenden dieses Vereins gewählt, aus dem sich später die Fallingbosteler Ortsgruppe des Deutschen Roten Kreuzes entwickelte. Ihr ganzes Leben hindurch engagierte sich Martha Heinrichs auf diesem Gebiet. Im Ersten Weltkrieg stieg sie sogar zur stellvertretenden Vorsitzenden im Berliner Hauptvorstand auf. Am 22. Oktober 1918, dem Geburtstag der Kaiserin, wurde sie zur „Dame des Luisenordens" ernannt – eine Auszeichnung, die nur selten an Bürgerliche verliehen wurde.

Auch Adolf Heinrichs erwarb sich bald den Ruf eines tüchtigen Verwaltungsbeamten, auf den man „höheren Ortes" aufmerksam wurde. So unterbreitete ihm das Ministe­rium das Angebot, den großen und sehr wichtigen Kreis Saarbrücken zu übernehmen. Doch dazu fühlte sich Heinrichs nicht in der Lage – aus finanziellen Erwägungen, denn es wurde erwartet, dass er mit den dort ansässigen Großindustriellen auf gleichem Fuß lebte. Die Karriereleiter erklomm er schließlich 1897 aufwärts, als ihn der Oberpräsident Rudolf von Bennigsen nach Hannover holte. Als Regierungsrat wirkte Heinrichs am Oberpräsidium, dessen Leitung bald schon Graf Stollberg-Wernigerode übernahm. Heinrichs Ehrgeiz war mit dieser Position allerdings noch nicht befriedigt. Er wollte „mehr" werden. Tatsächlich erhielt er 1900 die Berufung als Oberregierungsrat und ständiger Vertreter des Regierungspräsidenten Gramer nach Posen. Dies erwies sich wieder nur als Zwischenstation, denn bereits 1902 ernannte man ihn zum „vortragenden Rat" beim Preußischen Ministerium des Innern.

In dieser Position, die er sechs Jahre innehatte, erwarb er sich das Vertrauen seines Ministers Freiherrn von Hammersteins, der ihn 1908 in das Amt des Regierungspräsidenten in Lüneburg berief. Vier Wochen vor Kriegsausbruch wurde er im Sommer 1914 zum Unterstaatssekretär des Preußischen Staatsministeriums ernannt. Sein Sohn Kurt erinnert sich: „Unsere Möbel gingen am 1. Mobilmachungstag mit der Bahn von Lüneburg ab und trafen tatsächlich am nächsten Tage bei allem Kriegstrubel in Berlin ein."

Der Sohn hat eindrucksvoll geschildert, was Adolf Heinrichs in der Wilhelmstraße zu leisten hatte: „Vaters Tätigkeit in Berlin war ungemein interessant. Er war für Preußen das, was der Chef der Reichskanzlei für das Reich war. Seine Hauptaufgabe bestand darin, die Ressorts untereinander zu koordinieren und die Sitzungen des Staatsministeriums vorzubereiten. (...) Im Kriege wurde nun natürlich alles ganz anders. Eine Lawine von Arbeit brach über meinen Vater herein. Er hatte bei den schwierigen innenpolitischen Fragen mitzuwirken. (...) Das Übermaß an Arbeit, die Verschlechterung der Lage des Vaterlandes und schließlich auch die mangelhafte Ernährung zehrten an Vaters Gesundheit, der 1917 erst 60 war. Beim Zusammen­bruch war er auch selbst fertig. (...) Man wollte ihn zunächst als einen der wenigen sachkundigen Spitzenbeamten noch halten; er wollte aber nicht und wusste, dass das doch wohl nicht von langer Dauer sein würde. Sein Abschiedsgesuch mit amtsärztlichen Attest in der Tasche blieb er dann noch im Amt bis zum Zusammentritt der Na­tionalversammlung, also bis jedenfalls formell wieder eine gewisse Ordnung da war."

Als Heinrichs im Frühjahr 1919 aus dem Dienst schied, war es in den Nachkriegswirren selbst für einen solchen Spitzenbeamten schwer, eine Wohnung zu bekommen. Da die Verbindungen nach Fallingbostel in all den Jahren nicht abgebrochen waren – die Gemeinde hatte u. a. zur Vermählung der Tochter gratuliert und 1909 eine Straße nach ihm benannt – bot sich hier eine Lösung. Für etwa ein Jahr zogen die Heinrichs in das Obergeschoß der geräumigen Dienstwohnung des Landrats Rotberg ein. Das alte Anwesen, in dem Heinrichs selbst „residiert" hatte, war in der Zwischenzeit übrigens umgesetzt und dafür ein neues Gebäude errichtet worden, das heute die Kreisverwaltung beherbergt.

Schließlich gelang es Heinrichs, in Lüneburg eine ihm angemessen erscheinende Wohnung zu finden. Obwohl gesundheitlich sehr angeschlagen - ihm hatte ein Stimmband entfernt werden müssen - engagierte er sich nun politisch. Er übernahm den Vorsitz der Deutschnationalen Volkspartei für Hannover-Ost. Überschattet wurde seine zweite Lüneburger Zeit von dem Tod seiner Ehefrau Martha am 8. Juni 1923. Bei Heinrichs wurde im Jahr darauf eine Krebsmetastase an der Leber festgestellt, die am 21. Oktober 1924 zu seinem Tod führte.

Liebevoll charakterisierte sein Sohn Kurt das Wesen und Wirken dieses Mannes: „Er war eine sehr ausgeprägte Persönlichkeit und hat seine sehr beachtliche Laufbahn ohne jede Protektion nur seinen Fähigkeiten und Leistungen zu verdanken. Er war kein wissenschaftlich durchgebildeter Theoretiker, aber ein ausgezeichneter Praktiker, der mit Menschen umgehen konnte und für sie sorgte. Überall erwarb er sich sehr bald Achtung und auch Verehrung. (...) Trotz aller äußeren Erfolge blieb er in seinem Wesen schlicht und gerade."