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Archivalie des Monats September 2020: Die Versorgung sowjetischer Kriegsgefangener im Arbeitseinsatz

Die sowjetischen Kriegsgefangenen, die ab Juli 1941 in ein Lager nach Oerbke kamen, wurden von den Nationalsozialisten wie „Untermenschen" behandelt. Die Bedingungen im Lager führten zu einem massenweisen Sterben. Aber auch dann noch, als ab 1942 die Arbeitskraft der sowjetischen Kriegsgefangenen dringend benötigt wurde, wurden sie weit schlechter als alle anderen Nationalitäten versorgt.

Die sowjetischen Kriegsgefangenen, die nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion auf dem Fallingbosteler Bahnhof eintrafen, befanden sich in einer erbärmlichen körperlichen Verfassung. Von den langen Märschen und endlosen Transporten, die hinter ihnen lagen, waren sie erschöpft, ausgehungert und abgemagert. Sie wurden in das „Russenlager" geführt, das zu Beginn nicht anderes war als eine große Fläche, die man mit Stacheldrahtzäunen in viereckige Areale geteilt hatte. Unterkünfte gab es nicht. Um ihre Notdurft zu verrichten, mussten die Gefangenen mit ihren Händen Löcher graben. Mit Reisig oder Planen versuchten sie, sich gegen Wind und Wetter zu schützen.

 

Die sowjetischen Kriegsgefangenen fristeten ein erbärmliches Dasein. Das speziell für die sowjetischen Gefangenen aus Abfällen, Futterrüben und Sägespänen gebackene Brot von schwarz-violetter Farbe war, wie sich Georges Goes, ein französischer Insasse des Stalag XI B erinnerte, „matschig, schmierig und von einem widerlichen Geschmack." Fast wahnsinnig vor Hunger und Durst aßen viele Gefangene Rinde oder Gras und tranken verseuchtes Wasser. Die Ruhr grassierte.

 

Den sowjetischen Kriegsgefangenen wurde zum Verhängnis, dass die deutschen Bewacher in ihnen „keine Kameraden" sahen, weil die UdSSR die Genfer Konvention nicht unterzeichnet hatte. Den Nationalsozialisten diente dies als Vorwand, sie so zu behandeln, als stünde man in dem von Hitler beschworenen „Vernichtungskampf". Obwohl keine planmäßige Liquidierung sowjetischer Kriegsgefangener betrieben wurde, nahm die Wehrmacht ihr massenweises Sterben in Kauf.

 

Eine leichte Besserung ihrer Lage trat erst ein, als sich die deutschen Hoffnungen auf einen Blitzsieg über die Sowjetunion als trügerisch erwiesen und sich ab Herbst 1941 herausstellte, dass auf die Kriegsgefangenen aus der UdSSR als Arbeitskräfte nicht verzichtet werden konnte. Doch der Wandel in der deutschen Einstellung kam für viele von ihnen zu spät. Aufgrund ihrer geschwächten Konstitution starben in Oerbke ca. 30.000 sowjetischer Kriegsgefangene bei einer Tyhpus- und Fleckfieberepidemie, die Ende 1941 ausbrach.

 

Selbst nachdem Hitler am 31. Oktober 1941 das Beschäftigungsverbot von sowjetischen Kriegsgefangenen aufgegeben und Reichsmarschall Hermann Göring am 7. November 1941 Richtlinien über den Einsatz sowjetischer Kriegsgefangener in der deutschen Kriegswirtschaft erlassen hatte, blieb das Los dieser Menschen äußerst hart. Hinsichtlich der Verpflegung wurde bestimmt: „Der Russe ist genügsam, daher leicht und ohne schwerwiegenden Einbruch in unsere Ernährungsbilanz zu ernähren. Er soll nicht verwöhnt oder gar an deutsche Kost gewöhnt, muß aber gesättigt und in einer dem Einsatz entsprechenden Leistungsfähigkeit erhalten werden."

 

Das Kreiswirtschaftsamt schrieb den Bürgermeistern im Kreis Fallingbostel genau vor, wie die einzelnen Verpflegungssätze auszusehen hatten. Auf dem Papier machte es sich gut, dass die Wochenration von 2.600 g Brot aus 72 % Roggenschrot und 28 % Zuckerschnitzeln hergestellt sein sollte. Doch ob solche Vorgaben tatsächlich eingehalten wurden, stand auf einem anderen Blatt. Die im Laufe des Krieges immer schwieriger werdende Versorgungslage führte zu einer erheblichen Reduzierung der Rationen. Außerdem sah Görings Erlass „Ernährungsbeschränkung" als eine mögliche Strafmaßnahme vor – eine andere war die standrechtliche Exekution!

 

Besser mochte es lediglich den in der Landwirtschaft eingesetzten sowjetischen Kriegsgefangenen ergehen – allerdings auch nur, wenn sie nicht auf die Höfe verbohrter Nationalsozialisten kamen. In der Landwirtschaft sollten alle Kriegsgefangenen „ohne Unterschied der Volkszugehörigkeit" zwar weniger Brot, Fleisch und Margarine als die deutschen Normalverbraucher erhalten, hinsichtlich aller anderen Lebensmittel aber mit ihnen gleichgestellt sein. Weiter erhob das Kreiswirtschaftsamt keine Einwendungen dagegen, „daß im Einzelfall volle Brotration (Selbstversorgerration) gewährt wird, falls der Ortsbauernführer unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabes bestätigt, daß der Kriegsgefangene bzw. der (die) sowjetische Zivilarbeiter (Zivilarbeiterin) die volle Arbeitsleistung eines deutschen Arbeiters erfüllt oder daß sich bei Gewährung der vollen Brotration die Arbeitsleistung entsprechend erhöhen wird."

 

Je schwieriger die Versorgung der deutschen Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln wurde, desto argwöhnischer beobachteten einige Personen die Ernährungssituation der sowjetischen Kriegsgefangenen. Das Gewerbeaufsichtsamt Celle sah sich im März zu der Klarstellung veranlasst: „Wenn berechtigte Anträge auf Gewährung von Lebensmittelzulagen für sowjetische Kriegsgefangene genehmigt wurden, so deshalb, um die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen zu erhalten, zumal diese gerade bei den vorstehend genannten Firmen [Eibia und Wolff] an den schwersten und ungesündesten Arbeitsplätzen eingesetzt sind. Die Leistung dieser Arbeiten ohne Zusatzverpflegung wäre unmöglich und der Ausfall an Kranken für den Betrieb nicht tragbar." Ausdrücklich hob das Gewerbeaufsichtsamt hervor, dass die Zulagen für Kriegsgefangene nur einem Bruchteil der Sätze eines Zivilarbeiters entsprächen, also kein Anlass zu irgendwelchem Neid bestünde.

 

Es zeugt vom menschenverachtenden Geist des Nationalsozialismus, dass sich die  Berechnung von Essensrationen der Kriegsgefangenen weniger an der Schwere der von ihnen zu verrichtenden Arbeit orientierte, sondern dass sie sich nach der Nationalität richtete. Das machen Rundschreiben des Kreiswirtschaftsamtes deutlich, die als PDF-Scan gelesen und heruntergeladen werden können.

 

 

 

Die Kriegsgefangenen aus Polen und vor allem aus der Sowjetunion erhielten die geringsten Lebensmittelrationen, die ihnen zudem nur in schlechtester Qualität zugedacht wurde. Als Fleisch erhielten sie – wenn überhaupt – nur Pferde- oder Freibankfleisch. Auch wurde ihnen nur die halbe Seifenration zugedacht. Dabei hatten sie die gefährlichste, schwerste und schmutzigste Arbeit zu verrichten. Als „Vernichtung durch Arbeit" wurde von den Historikern diese absichtliche oder billigend in Kauf genommene Tötung von Zwangsarbeitern oder Häftlingen durch übermäßige Schwerarbeit und mangelhafte Versorgung bezeichnet.

 

Dagegen erhielten die in den Nachtstunden von 20 bis 8 Uhr bei den Schnellkommandos der Schutzpolizei zur Bekämpfung von Fliegerschäden eingesetzten Angehörigen der Hitlerjugend 150 g Brot, 50 g Fleisch und 10 g Fett als Lebensmittelzulagen.